Bekämpft nicht die Dunkelheit. Bringt Licht, dann entschwindet die Dunkelheit von allein.

Maharishi Mahesh Yogi

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

was ist schlimmer: Corona oder die Spaltung der Gesellschaft?

In allen vedischen Schriften, sei es in den Texten des Ayurveda, des Yoga oder der Upanishaden, wird der Urgrund allen Leids mit Avidya beschrieben.

Avidya bedeutet Unwissenheit, sie ist die Dunkelheit.

Vidya – Wissen – ist das Licht.

Nun ist mit diesen beiden Sanskritbegriffen nicht das Wissen bzw. die Unwissenheit um die unendlich vielfältigen Dinge und Phänomene in unserem Universum gemeint. Vielmehr geht es ganz grundsätzlich um das Wissen vom Leben, vom Vergänglichen und Unvergänglichen, vom Zeitlichen und Zeitlosen, vom Begrenzten und Unbegrenzten.

In den vedischen Texten heißt es:

Die Unwissenheit vom wahren Kern des Lebens schafft Dunkelheit und Kummer, Wissen darum hingegen bringt Licht, vertreibt das Dunkle und erlöst uns von Leid.

Noch nie in all den Jahren unserer ärztlichen Tätigkeit haben wir soviel Verzagtheit, emotionale Erschöpfung, Angst, Verunsicherung und sogar Schwermut erlebt wie in den vergangenen Monaten. Ein zehntausendstel Millimeter großes Virus hat uns mit einer globalen Verwerfung konfrontiert, die keine Facette unseres Lebens ausspart.

Was wissen wir genau?

Sars Covid 19 ist eine Krankheit, die harmlos, milde oder schwer verlaufen kann. Viele von uns haben sie mittlerweile selbst durchgemacht oder im nahen Umfeld erfahren.

Niemand aber weiß genau, worauf die so unterschiedlichen Verlaufsformen dieser Infektion zurückzuführen sind. Wir haben das Virus entschlüsselt, wissen aber über seine genauen Wirkmechanismen noch keineswegs Bescheid.

Niemandem ist daraus ein Vorwurf zu machen. Wir befinden uns in einem Prozess, im Wettlauf mit der Zeit, auf der Jagd nach wissenschaftlichen Durchbrüchen. Der Tango aus Lockern und Lockdown zerrt an unseren Nerven.

Apodiktisch versus tolerant

Dennoch – nicht akzeptabel sind die apodiktischen und oft rabiaten Aussagen der unterschiedlichen Lager, denn sie sind hergeleitet aus vorübergehenden Erkenntnissen. Teilwissen, dessen Halbwertszeit in vielen Fällen sehr kurz ist.

Machen wir uns bitte bewusst: Nicht Corona ist der Spaltpilz der Gesellschaft! Wir sind es. Unsere starre, unversöhnliche Haltung, unsere mangelnde Toleranz, der vermeintliche Glauben, Dinge heute besser zu wissen, die morgen schon ganz anders beurteilt werden können.

Die Geisteshaltung und Herangehensweise an diese Krise ist auf beiden Seiten der Extreme gleich unflexibel, gleich intolerant. Sie allein entzündet den Flächenbrand der Disharmonie.

Wie können wir ihn löschen? So wie Licht die Dunkelheit vertreibt, so verjagt Harmonie Spaltung und Disharmonie. Der bedeutende deutsche Dichter und Aufklärer Gotthold Ephraim Lessing hat Harmonie so beschrieben:

‚Harmonie ist die Einheit in der Vielfalt.‘

Das Wesen des Lebens ist unendliche Vielfalt. Dazu gehört nicht nur die verschwenderische Fülle der Natur, sondern auch die Unterschiede zwischen uns Menschen, unseren Kulturen, Nationen, Traditionen, Parteien. Dazu gehören blanke Gegensätze, widersprüchliche Meinungen und alternative Überzeugungen. Diese Vielfalt macht das Leben schön, abwechslungsreich und spannend.

Doch Differenzen enden leider oft in Streit, Hass, Feindschaft und Spaltung. In der Charta der UNESCO heißt es:

‚Kriege beginnen im Geist der Menschen.‘

Genauso verhält es sich mit Frieden und Harmonie. Wenn sich innere Konflikte und Aggressionen in unserer Psyche auflösen, entsteht ein friedvoller Geist, der Harmonie schafft.

Darin besteht das Ziel der Jahrtausende alten Weisheit des Ayurveda und Yoga. Im Ayurveda geht es um die Balance der Vielfalt und Komplexität in unserem Körper, im Yoga durch tiefe Meditation um die Erfahrung der Einheit in unserem Geist. So, und nur so, entsteht Harmonie als Einheit in der Vielfalt. In den Texten des Yoga heißt es:

‚Tat sannidau vaira tyagah‘ – In der Nachbarschaft des Yoga löst sich Feindseligkeit auf`.

Das bedeutet, Licht – Vidya – vertreibt die Dunkelheit – Avidya. Gegensätze verschmelzen zu einer Einheit.

Better together

In einer verhärteten Situation mag dieser Ansatz wenig konkret, abstrakt und schwierig erscheinen. Doch wenn wir unsere Aufmerksamkeit nach innen richten, erkennen wir, wie es wirklich in uns aussieht: ängstlich, wütend, enttäuscht, unversöhnlich, einsam oder zuversichtlich, friedlich, liebevoll, offen und anderen zugewandt? Nur was in uns ist, können wir nach außen tragen. Unsere Welt ist genau so, wie wir sind – gespalten oder vereint.

Schlimmer als die Pandemie wäre eine Spaltung unserer Menschenfamilie. Folgen wir darum dem Aufruf der Upanishaden.

Diese Jahrtausende alten, weisen, vedischen Texte, die Generationen getragen und beraten haben, worin Arthur Schopenhauer täglich las, woraus Genies wie der Physiker Erwin Schrödinger und zahllose andere großen Geister ihre Inspiration zogen:

‚Lasst uns zusammen sein. Lasst uns zusammen essen. Lasst uns zusammen vital sein. Lasst uns die Wahrheit verbreiten, das Licht des Lebens ausstrahlen. Mögen wir niemals jemanden anprangern und niemals Negativität stiften.‘

Das Einende nicht das Trennende

Auch wenn wir im Moment nicht ´zusammen sein` können, bin ich zutiefst davon überzeugt, dass wir diese Krise nur gemeinsam meistern werden, dass wir mit Verständnis weiter kommen als mit der Vorstellung, folgerichtiger zu denken als andere. Wenn Sie das Gefühl haben, einen anderen Menschen überhaupt nicht mehr zu verstehen, denken Sie an die Upanishaden. Deeskalieren Sie und beruhigen Sie das Gespräch anstatt es anzuheizen. Suchen Sie das Einende und nicht das Trennende.

Ob geimpft oder ungeimpft, seien Sie vorsichtig, beachten Sie die Regeln, denken Sie für die Sicherheit anderer mit, sagen Sie die kleinste Kleinigkeit mit der größtmöglichen Höflichkeit, fragen Sie andere lieber, wie es Ihnen geht als sich in rigide, politische oder weltanschauliche Diskussionen zu verwickeln, helfen Sie, wo Sie können, stärken Sie Ihr Immunsystem und passen Sie gut auf sich auf!

Wir wünsche Ihnen von Herzen gesegnete Weihnachten, Gesundheit und ein glückliches Neues Jahr!

Sie wissen ja, Weihnachten ist auch das altgermanische Lichterfest, denn ab jetzt kommt das Licht zurück und die Tage werden länger.

Ihr Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Ayurveda
Dr. Ulrich Bauhofer
Dr. Wolfgang Schachinger
Dr. Jasmin Blumenberg
Dr. Ulrich Messner