Prof. Dr. Martin Mittwede im Interview

 

Das ayurvedische Denken lässt uns immer wieder erstaunt sein, wenn wir erkennen, wie umfassend Gesundheit und Krankheit schon vor über 2000 Jahren betrachtet worden sind.

Prof. Dr. Martin Mittwede, Indologe mit Hauptthemengebiet Sanskrit, beschreibt in diesem Interview den Ayurveda scherzhaft als ein „gefährliches Virus“, das ihn nicht mehr loslässt. Es fasziniert ihn immer wieder, wie präzise die ayurvedischen Texte Vorgänge im Menschen beschreiben.

Genaue Beobachtungsgabe, die Ausrichtung auf die individuelle Situation von Patienten und die tiefgreifende systemische Analyse der Situation ergänzen sich im Ayurveda zu einem Gesamtbild, mit dem wir auch heute noch arbeiten können. Er betont daher auch die Bedeutung der Integration von traditioneller und moderner Medizin, um das Beste für Patienten zu erreichen, insbesondere bei chronischen Erkrankungen.

Der Ayurveda lehrt nicht nur therapeutische Methoden, sondern auch eine Lebenslehre, die Körper, Psyche und Selbst als Einheit betrachtet. Der Ayurveda hilft nicht nur dabei das eigene Leben in Balance zu bringen, sondern fördert auch die geistige Entwicklung.

Besonders interessant ist der Ansatz der Genusstherapie, der positive Ressourcen im Menschen fördert und die Motivation für gesunde Ernährung steigert.

Im Interview werden auch die Themen „Die Kunst der Wahrnehmung im Ayurveda” und „Die Rolle des Ayurveda in der Gesellschaft” behandelt.

Neugierig geworden? Sehen Sie sich das vollständige Interview-Video an, das Sara-Diane Gorges geführt hat, um tiefer in die faszinierende Welt des Ayurveda einzutauchen!

Referent beim Ayurveda-Kongress der DGA

Prof. Dr. Mittwede ist Referent auf dem Ayurveda-Kongress der Deutschen Gesellschaft für Ayurveda vom 29. Mai – 1. Juni 2025. Am Donnerstagabend, 29. Mai 2025 hält er einen Festvortrag mit dem Thema „Charaka Samhita – die ganzheitliche und integrative Natur des Ayurveda in den klassischen Texten”. Hier finden Sie mehr Informationen über den Kongress:

Transkript des Interviews

 

Schönen guten Tag Herr Professor Dr. Martin Mittwede, schön, dass Sie heute hier im Interview sind und sich meinen Fragen stellen möchten. Sie kamen oder Sie sind eigentlich Religionswissenschaftler ursprünglich. Wie kamen Sie denn zum Ayurveda?

Ja, also erstmal herzlich willkommen. Ich bin ja nicht nur Religionswissenschaftler, sondern Indologe. Das heißt, mein Hauptthemengebiet war das Sanskrit. Und im Sanskrit, dieser alten Kultursprache Indiens, sind ja die meisten philosophischen und religiösen Schriften verfasst. Nachdem ich meine Doktorarbeit fertig hatte, dachte ich, jetzt hast du so viel Philosophie studiert, jetzt braucht’s noch mal ein praktisches Forschungsgebiet. Und so bin ich dann 1986 zur Erforschung des Ayurveda gekommen.

 

Das ist spannend und das ist auch schon eine sehr lange Zeit, die Sie sich mit Ayurveda beschäftigen. Was fasziniert Sie denn am Ayurveda?

Ja, also man kann tatsächlich sagen, Ayurveda ist ein gefährliches Virus. Wenn man das mal irgendwie drin hat, kriegt man es kaum noch raus. Der Ayurveda hat in der indischen Kultur wirklich auch einen besonderen Stellenwert. Er wird auch von Fachwissenschaftlern als eigenes philosophisches System sogar betrachtet, weil er einen ganz besonderen Blick auf die Welt hat. Indien ist ja nun sehr berühmt für seine Spiritualität, und Spiritualität beinhaltet ja immer, oh, ich will ein bisschen weg von der Welt, irgendwo in eine höhere Dimension, zum Selbst, zu Gott oder wie auch immer man das benennen will. Und der Ayurveda wendet sich eben der Welt zu. Das heißt also, er hat ein ganz positives Verhältnis zu all den Dingen der Welt. Der Ayurveda ist insofern in seinem Denken eben sehr, sehr offen und weit. Also im Yoga gibt es teilweise strenge Regeln, wie soll man sich ernähren, welche Diät soll man einhalten, damit man sein Yoga richtig praktizieren kann. Und im Ayurveda ist das eben viel offener. Da gibt es grundsätzlich erstmal gar keine Verbote, sondern man versucht eben sehr sachlich, letztendlich auch wissenschaftlich, an diese Themen heranzugehen, indem man eben sagt, so, was ist jetzt für eine bestimmte individuelle Person zuträglich und was ist nicht zuträglich. Und auf dieser Basis wird dann entschieden, wie die Ernährung strukturiert wird. Also es ist wirklich im Ganzen sehr weit und offen. Und das ist ja auch ein Grund, warum neben dem Yoga der Ayurveda sich inzwischen auch auf der ganzen Welt verbreitet hat.

 

Sie sagten, in der indischen Kultur entwickelt man sich ja eher so ein bisschen mehr zum Spirituellen hin, und der Ayurveda holt einen da aber ab und führt einen wieder in die Welt. Habe ich das richtig verstanden?

Ja, so kann man das sagen. Ich meine, manchmal gibt’s natürlich Vermischungen und man verbindet das dann miteinander. Aber grundsätzlich ist natürlich in Indien traditionell der Yogi ein Yogi und der Arzt ist ein Arzt. Und der Arzt hat ja nicht das Ziel, den Menschen jetzt zu einem höheren Bewusstsein oder zu einer Erleuchtung zu führen, sondern der Arzt oder Therapeut möchte, dass der Mensch ein balanciertes, erfülltes und gesundes Leben führt. Das ist das Hauptziel erstmal. Also da ist der Ayurveda als ein eigenes Wissenssystem oder als eine traditionelle Wissenschaft eben doch anders in seiner Zielsetzung.

 

Ich habe gelesen, dass Sie sagten „Der Ayurveda versetzt Sie immer wieder ins Staunen!“. Was genau lässt Sie am Ayurveda so staunen?

Ich finde diese Aussage so toll. Ich kann mich damit auch super identifizieren, weil ich dieses staunende Gefühl auch kenne. Also ich kann nur sagen, immer wenn ich mal Zeit habe, in den Ayurveda-Klassikern zu lesen und zu versuchen, sie zu verstehen und sie dann zu übersetzen, dann bin ich einfach fasziniert davon, mit welcher Genauigkeit der Mensch beobachtet wird, wie genau Krankheiten analysiert werden, wie Symptome beschrieben werden, wie auch viele Erklärungsmodelle bis in die heutige Zeit auch Gültigkeit besitzen können, weil sie einfach eben der klinischen Beobachtung geschuldet sind. Ich selbst bin ja nun psychotherapeutisch tätig, und wenn ich in einem Text, der über 2000 Jahre alt ist, lesen kann, dass eine Traumatherapie entfaltet wird, also wie entsteht eine traumatische Belastung für einen Menschen, und man das vergleicht, wie Ende des 19. Jahrhunderts bei uns psychisch Kranke behandelt worden sind, also da sieht man eben doch, das ist eine alte Hochkultur, in der man eben sehr detailliertes und genaues Wissen über Gesundheit und Krankheit entfaltet hat. Und da kann man wirklich viele Schätze noch heben. Ja, weil die Übersetzungen sind teilweise eben doch etwas oberflächlich und gehen nicht immer in die Tiefe. Und wenn man die indische Philosophie studiert hat, was bei mir der Fall ist, und dann den Ayurveda, dann erkennt man die Querbeziehungen und erkennt eben sehr deutlich auch, wie groß das medizinische Wissen in der damaligen Zeit gewesen ist. Man muss dazu sagen, es ist natürlich eine andere Sprache. Also Symptome und klinische Befunde werden anders kategorisiert und beschrieben, als sie in der modernen Medizin nun beschrieben sind. Aber wenn man dann sozusagen als Übersetzer eben tätig ist und versucht, dann aus dem System des Ayurveda heraus in Verbindung auch mit modernem medizinischen Wissen die Dinge zu verstehen, dann machen diese Texte wirklich Sinn. Ja, und zwar Sinn im Sinne, dass wir sie heute erfolgreich auch medizinisch einsetzen können.

 

Also das heißt, Sie beherrschen auch die Sanskritsprache?

Ganz genau. Das war ja mein Hauptstudium sozusagen. Ja, die Religionswissenschaft kam dann als zweites dazu. Also ich habe einen Doktor in Sanskrit gemacht mit einer Studie über einen altvedischen Ritualtext und habe eben im Laufe meines Studiums mich mit auch den indischen Wissenschaften auseinandergesetzt, mit der indischen Philosophie. Also all die klassischen Systeme habe ich studiert, und dann bin ich zum Ayurveda gekommen.

 

Sie sind also in der Lage, die alten Texte wirklich aus ihrem Originalwortlaut heraus zu interpretieren. Damit sind Sie auch einer der wenigen Menschen, die da wirklich ganz tief an der Quelle arbeiten. Und wie Sie auch selbst ja ein Stück weit auch schon angedeutet haben, hat diese uralte Wissenschaft vom Leben ja einen gewissen Ewigkeitscharakter, wenn man das so sagen kann. Deswegen ist meine Frage an Sie: Was ist denn Ihre Vision von einem Ayurveda in unserer heutigen Zeit und für die nahe Zukunft?

Ja, also mit dem Begriff ewig muss man ja außerhalb der Philosophie und der Religion erstmal sehr vorsichtig sein. Ich will es gibt tatsächlich in der Charaka Samhita eine Textstelle, wo gefragt wird, warum ist denn der Ayurveda ewig, und die Begründung ist nicht, oh, weil der Ayurveda so heilig ist und von den Göttern kommt und so weiter, sondern die Begründung, die gegeben wird, ist, das Feuer ist immer heiß und das Wasser ist immer kühl. Also der Ayurveda hat Fortbestand, weil er die Natur und das Leben ganz genau beobachtet. Und wenn wir in diesem Sinne sozusagen eine beobachtende Rolle einnehmen, und beobachten bedeutet, eine Kunst der Wahrnehmung zu entwickeln, also Ayurveda lernt man ja eben nicht nur mit dem Kopf, sondern da muss sozusagen auch unsere tiefe Intuition beteiligt sein, und wir müssen trainiert sein, den Menschen eben genau zu beobachten. Auf einer der ersten Konferenzen über Ayurveda, die im Westen durchgeführt worden ist, das war so Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre, da sagte ein indischer Ayurveda-Arzt, ihr müsst die Doshas sehen lernen. Und das finde ich eine sehr, sehr schöne Beschreibung. Man kann die Dinge auswendig lernen, man kann lernen, Vata-Eigenschaften sind trocken und rau und so weiter, und Pitta-Eigenschaften sind das und Kapha-Eigenschaften sind das. Aber das Entscheidende ist, dass man es in seinen Wahrnehmungsprozess hineinbringt. Das schafft man nur über ein langjähriges Training. Man muss das wirklich üben, mit diesen ayurvedischen Augen zu sehen. Und dann kann man eben auch als Westler, der das sekundär erst gelernt hat, eben mit diesen Konzepten wirklich auch sehr, sehr gut arbeiten.

 

Haben Sie da vielleicht ein Beispiel für mich, wie man die Doshas sieht?

Wenn ich einen neuen Patienten habe, dann ist es wichtig, dass ich ja nicht zu schnell den irgendwie in eine Schublade stecke, sondern dass ich erstmal einen kultivierten Wahrnehmungsprozess durchlaufe, in dem ich sage, dieser Mensch ist jetzt ganz neu und er ist ganz individuell. Also hier spielt das Bewusstsein des Therapeuten eben doch eine ganz, ganz starke Rolle. Und dann kann man natürlich jetzt analytisch vorgehen und die Eigenschaften wahrnehmen und analysieren. Aber wir haben neben der Beobachtung der Details ja immer auch ein Gesamtbild oder einen Gesamthorizont der Person. Und da kommt eben doch so ein holistischer Wahrnehmungszugang mit hinein, wo man sagen kann, und auch moderne Mediziner sagen, Medizin ist zwar eine Wissenschaft, aber sie ist gleichzeitig ja auch etwas, was sich in immer komplexen Systemen bewegt, weswegen wir eigentlich ein hohes Ausmaß auch an intuitiver Wahrnehmungskraft benötigen, um einen Patienten wirklich individuell wahrnehmen zu können. Das heißt, es kann klinische Befunde geben, wo jemand dann sagt, ja, das weist alles in eine bestimmte Richtung, und trotzdem sagt eventuell die Intuition, irgendwas spricht dagegen, irgendwie müssen wir noch mal einen anderen Zugang gewinnen. Und in diesem Wechselspiel von empirisch genauer wissenschaftlicher Beobachtung und Intuition steht eigentlich sowohl die moderne Medizin als auch eben natürlich der klassische Ayurveda oder andere traditionelle heilkundliche Systeme. Und insofern spreche ich auch immer gern von der Heilkunst. Ja, eine Kunst ist etwas, was ich üben und entwickeln kann und was in mir als Person dann eben auch dementsprechend verankert ist. Und wir haben ja in der modernen Medizin eben eine zunehmende Technisierung, was grundsätzlich nicht verkehrt ist, weil wir dadurch ja mehr Informationen bekommen. Wenn man sich aber nur noch auf die Technik verlässt, dann wird der Blick auf den Menschen als Individuum eben schrittweise verloren gehen. Und das beklagen auch Patienten, sagen, der Doktor hat mich gar nicht angeguckt, der saß nur hinter seinem Rechner, der hat mich nicht mal angefasst. Also hier kommt diese Sinnlichkeit der Medizin eben mit zum Tragen, wo wir sagen können, der Ayurveda bringt uns eigentlich den holistischen Blick in die Medizin zurück. Und wenn diese Frage, die vorhin gestellt wurde, ich noch mal kurz beantworten kann, die Zukunft sehe ich eigentlich immer in einer integrierten Medizin. Also nicht ein entweder oder, was ja dem westlichen Denken oft entspricht, sondern eben zu einem sowohl als auch. Das heißt also, traditionelle Medizin, in diesem Fall Ayurveda, und moderne Medizin eben in sinnvollerweise miteinander verbinden. Ich habe ja auch längere Zeit in Gremien der Naturheilkunde mitgearbeitet, und irgendwann ist mir ja klar geworden, es gibt nicht nur den dogmatischen Scheuklappen-Schulmediziner, der alles verurteilt, was traditionell ist, was alternativ oder komplementär ist, sondern es gibt auch den Scheuklappen-Naturheilkundler, der dann auch rundweg die moderne Medizin verurteilt. Ja, ich habe in Ratgeberbüchern über Yoga und Ayurveda gefunden, moderne pharmazeutische Mittel sind alle als Tamas zu beurteilen, also als den Geist dumpf machende Substanzen. Das trifft überhaupt nicht zu, das ist einfach vollkommener Unsinn, weil natürlich jede Substanz eine einzelne individuelle Wirkung hat. Und ob diese Wirkung jetzt auf den Geist in der Form oder in der Form ist, das muss man erstmal genau analysieren und untersuchen und kann da nicht irgendwie eine Pauschalaussage machen. Wenn wir dazu kommen, traditionelle Medizin und moderne Medizin in intelligenter Weise miteinander zu verbinden und integrierte Therapiekonzepte aufzubauen, dann glaube ich, kann daraus etwas sehr Fruchtbares entstehen. Das ist auch die Politik der WHO, die sagt, dass in allen Ländern die traditionellen Medizintraditionen weiterhin bestehen bleiben sollten. Wenn wir an das Pflanzenkundewissen in Europa denken, gibt es viele regionale Heilkräuter, die sinnvoll genutzt werden können. Mir geht es darum, eine Brücke zu bauen zwischen modernem und traditionellem medizinischen Denken, um das Beste für den Patienten herauszubringen. Das ist auch der Wunsch vieler Patienten, die nebenwirkungsarme Therapien, gerade im Kontext der chronischen Erkrankungen, wünschen. Traditionelle Medizin kann hier sehr viel leisten.

 

Welche Rolle sollte der Ayurveda Ihrer Auffassung nach für unsere Gesellschaft spielen?

Der Ayurveda hat ein detailliertes Konzept über die Entstehung von Krankheiten entwickelt, das sich in sechs Stadien gliedert. Der Normalbürger geht erst im fünften oder sechsten Stadium zum Arzt, also viel zu spät. Wir sehen, dass die Hauptmenge des Geldes in Therapien eingesetzt wird, was nicht verkehrt ist, aber Prävention und Vorbeugung werden vernachlässigt. Fragen wie „Wie kann ich gesünder leben?“ werden in der Schule nicht gelehrt. In der Ernährungstherapie der modernen Medizin geht es oft um Verbote, was nicht zum Erfolg führt. Der Ayurveda geht von der Genussqualität aus, was auch in der modernen psychologischen Verhaltenstherapie als Genusstherapie bekannt ist. Es geht darum, positive Ressourcen in sich selbst aufzubauen und zu entwickeln. Der gute Geschmack ist entscheidend, und Ayurveda kann hier eine hohe Motivation aufbauen. Wir brauchen neue Strategien in der Prävention und Gesundheitsförderung, um die Lebensqualität nachhaltig zu verbessern.

Lassen Sie uns einen Ausblick auf den Kongress der Deutschen Gesellschaft für Ayurveda richten. Sie werden dort als Referent einen Vortrag halten. Ihr Thema ist die Charaka Samhita. Möchten Sie uns einen kleinen Einblick in das Thema geben?

Die Charaka Samhita ist der älteste Ayurveda-Text, ein Lehrbuch mit 800 bis 1000 Seiten, das über mehrere Jahrhunderte entstanden ist. Das Spannende an diesem Werk ist, dass wir die Entstehung der ayurvedischen Konzepte und Denkmodelle nachvollziehen können. Dinge, die in späteren Texten nur kurz benannt werden, werden hier ausführlicher erklärt. Mein Ziel für diesen Vortrag ist, traditionelle Beschreibungen von Störungen, Symptomen und Erkrankungen anzuschauen und die Brücke zur modernen Medizin zu schlagen. Ich möchte die Zuhörer in die Sanskritwelt mitnehmen, einige Begriffe erklären und Verse tiefergehend anschauen, um einen Zugang zu diesen Texten zu bekommen.

 

Ist es zwingend erforderlich, die alten Texte tief zu studieren, wenn man sich dem Ayurveda zuwenden möchte?

Ich bin da ein bisschen ambivalent. Je mehr wir in der Lage sind, in die alten Texte zu schauen, desto tiefer wird unser Verständnis vom Ayurveda. Viele Experten, mit denen ich in Indien Kontakt habe, gehen davon aus, dass es darum geht, die Denkweise und Kernkonzepte des Ayurveda zu verstehen und zu verinnerlichen. Wenn wir das getan haben, können wir es auch ohne großes Textstudium in der Praxis umsetzen. In die Tiefe zu gehen und weiterzulernen ist ein Thema in der Medizin und Psychotherapie. Um Ayurveda praktisch zu erlernen, muss man nicht in die Texte gehen, aber es ist eine zusätzliche Freude, weil wir die Hintergründe besser erfassen können.
Wenn es so ist, dass der Ayurveda wie ein Virus ist, der einen ansteckt und nicht mehr loslässt, dann kommt das Studium der alten Texte vielleicht ganz von selbst. Viele Therapeuten sind bereit und interessiert, weil Ayurveda nicht nur ein therapeutisches Tool ist, sondern auch eine Lebenslehre. Es ist ein Wissen vom Leben, das uns hilft, unser eigenes Leben in Balance zu bringen. Das Menschenbild des Ayurveda, das Körper, Psyche und Selbst als Dreistock des Lebens sieht, ist für viele Menschen bedeutsam. Es geht darum, sich selbst, den Lebensweg und die geistige Entwicklung besser zu verstehen. Das ist eine besondere Motivation, tiefer in die psychologischen und philosophischen Konzepte des Ayurveda einzutauchen.

 

Das klingt wunderbar inspirierend. Ich denke, an dieser Stelle haben Sie meine Fragen vollumfänglich beantwortet. Ich könnte Ihnen noch so viel mehr Fragen stellen, es ist unglaublich spannend. Aber ich denke, Sie stehen ja sicherlich auch beim Kongress zur Verfügung. Ich möchte mich bei Ihnen ganz herzlich bedanken für Ihre Zeit und dieses inspirierende Interview.

Sehr gerne und vielen Dank für die Fragen.